Astrid Kaminski, TAZ August 2020
Peter Pleyer hat gern gehäkelt, Michiel Keuper fand das uncool. Der eine war Friseur, der andere Designer. Jetzt machen sie zusammen die Tanzcompany Cranky Bodies a/company auf – zu sehen ab Donnerstag im Dock 11.
Von Astrid Kaminski
Astrid Kaminski: Peter Pleyer, Sie haben mal gesagt, Sie seien eines der wenigen Arbeiterkinder, die tanzen.
Peter Pleyer: Die Arbeiterklassenfrage! Das hat sich inzwischen vielleicht ein kleines bisschen verschoben, aber als ich studierte, war es ein kleiner Schock für mich: Ishmael Houston-Jones, ein Schwarzer postmoderner Tänzer aus den USA, unterrichtete während meiner Studienzeit im niederländischen Arnheim. Er ließ alle, die aus einer Arbeiterfamilie kamen, in eine Ecke des Raums gehen. Dort standen wir dann zu zweit … Nicht nur mein Jahrgang, die gesamte Schule war an dieser „Umfrage“ beteiligt.
AK: A late bloomer , das sagen Sie in einer Ihrer autobiografischen Lectures ebenfalls über sich selbst.
PP: Tatsächlich war alles bei mir etwas später. Auch das Abitur. Das war nicht vorgesehen. Danach habe ich eine Friseurausbildung gemacht. Es war klar, dass ich ans Theater wollte. Aber wie? Ich dachte eher an die Hintertür. Maskenbildner vielleicht. Dafür war Friseur eine gute Grundlage. Der Weg zum Tanz kam über die Amateurschiene. Ich habe Kurse besucht: Theater, Musical, Ballett. Und dann erfuhr ich, mit 24, von dieser Ausbildung in Arnheim, wo man keinen klassischen Tanzhintergrund brauchte, sondern wo es um alle möglichen anderen Techniken ging, die den Körper bilden. Anderswo hätte ich keine Chance gehabt.
AK: Gehen wir noch einen Schritt zurück: Was war für Sie als Friseur der zündende Moment, um mit dem Studium zu beginnen?
PP: Das war das Diskursfestival in Gießen Ende der 1980er Jahre. Eine tolle Sache! 1984, mein Abiturjahrgang, gab es die konstituierende Sitzung der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen. Zum Festival wurde eine Abschlussklasse der Schule für Neue Tanzentwicklung in Amsterdam eingeladen. So etwas hatte ich noch nie gesehen! Wie ich im Gespräch herausfand, war die Schule gerade dabei, sich zu teilen. Ein neuer Zweig der Hochschule mit neuen Lehrern und Lehrerinnen machte in Arnheim auf. Eine Aufbruchstimmung. Ich wusste sofort: Das ist das, was ich machen will. Es hat mein Leben verändert.
AK: Inwiefern das Leben verändert?
PP: Zu erfahren, wie viele Körpertechniken es gibt, was man alles machen kann, um seinen Körper kennenzulernen, welches Wissen sich daraus ergibt. Dass man aus einem Körper wie meinem, zum Beispiel mit Techniken wie der Release-Technik, einen Tänzerkörper machen kann, dass das funktioniert!
AK: Michiel Keuper, Sie waren mal Nachwuchsdesignstar. Wären Sie ohne Peter jetzt Chefdesigner bei Versace?
Michiel Keuper: Ich bezweifle es. Peter und ich lernten uns 1993 kennen und sind seitdem zusammen. Ich präsentierte damals zum Abschluss des Studiums meine Final Collection. Meine ganze „Nachwuchsdesignerkarriere“ fand also mit Peter an meiner Seite statt. Zwar habe ich damals schon ein paar Kostüme gemacht, aber es war mir klar, dass ich nach Paris wollte, nach London etc., und das habe ich dann durchgezogen bis 2009. Mein letzter Job war bei G-Star in Amsterdam, ich war Chefdesigner for women’s wear. Fünfmal die Woche im Flieger, zwei Tage den Monat zu Hause. Da war mir dann doch klar: Das mache ich nicht bis 65.
AK: Inzwischen sind Sie ein multidisziplinärer Künstler, der viel im Tanzbereich arbeitet. Oft präsentieren Sie keine fertigen Kostüme, sondern sind mit Ihren Materialien Teil des Prozesses auf der Bühne.
MK: Ja, Tanz inspiriert mich, weil er Hierarchien des Materiellen infrage stellt. Man kann ihn nicht wie ein Bild an die Wand hängen. Das ist ein Reiz. Er erreicht ein paar wenige Leute in ein paar wenigen Momenten. Hier liegt sogar eine Verbindung zur Fashionshow: der Moment der Präsenz, diese zehn Minuten, in denen man eine Kollektion mit all ihrem Flair gesehen hat oder nicht. Durch das Digitale hat sich das etwas verändert, aber das Gefühl ist noch da. Genau das ist es nun auch, was Modeleute in der Coronazeit vermissen.
AK: Hat Peter Pleyer Sie eigentlich mit seiner berühmten Häkelkunst umgarnt oder war es ganz anders?
MK: Häkeln und Stricken, das ist echt Peters Ding. Das habe ich nie gemacht. Ich fürchte, ich fand Stricken eher uncool. Peter, wann hast du eigentlich damit angefangen?
PP: Ich habe das von meiner Mutter gelernt. Und dann überall gestrickt und gehäkelt. Es war die Zeit, als auch die Grünen strickend im Parlament saßen. Ich habe strickend Abitur gemacht.
AK: Peter Pleyer, für Ihre Arbeiten spielt immer wieder auch die Aidskrise der 1980er Jahre eine große Rolle.
PP: Dahinter steckt in erster Linie eine große Gefühlssache. Ich komme auf den Late Bloomer zurück. Ich war nie groß unterwegs in der Welt. Und dann kommt Yoshiko Chuma nach Arnheim und bringt ihren Assistenten Harry Sheppard mit. Und Harry, ein Schwarzer US-amerikanischer Tänzer, stirbt in einem niederländischen Krankenhaus ohne Versicherung an Aids. Allein das war unheimlich schockierend. Danach wurde ich von Yoshiko nach New York eingeladen und allen als derjenige vorgestellt, der Harry gebadet hat … Der Tod und die ganze Emotionalität darum herum haben alles sehr viel intensiver werden lassen. In den Monaten, die ich dann in New York verbrachte, war ich noch mehrmals auf Beerdigungen. Auf Trauerfeiern genauso wie auf großartigen Partys. Diese Kombination von Leben und Tod hat mich sehr geprägt.
AK: Michiel Keuper, spielt die künstlerische Beschäftigung mit HIV für Sie auch eine Rolle?
MK: Ich kam durch Peter und gemeinsame Freunde damit in Berührung. Was auch wieder ein Gegensatz zu meiner Glamour-Welt war, aber mich von Anfang an sehr geprägt hat. Als ich meine Studien-Abschlusskollektion präsentierte, kam Peter gerade aus New York zurück, wir waren verliebt, und Aids war ein großes Thema für ihn. Die Krankheit gab es natürlich schon vorher. Aber plötzlich kam sie uns nah. Unter diesem Eindruck habe ich an alle meine Entwürfe rote Aidsschleifen geheftet.
AK: Und jetzt machen Sie eine Kompanie auf, die „Cranky Bodies“ heißt. In einer Zeit, die auch viel mit einem Virus zu tun hat und in der Tanzen fast unmöglich ist. Das ist ein Statement, oder?
MK: Tanzen für sich allein ist ja kein Problem, aber zusammen zu tanzen, als Ensemble, in einer Company, ist zurzeit nur mit sehr viel Beherrschung von Abstands- und anderen Regeln möglich. Da wir viel mit Improvisation arbeiten, die oft auf bestimmten Vorgaben beruht, ist die Situation aber auch eine interessante Herausforderung. Zusammen zu tanzen hat viel mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt füreinander zu tun. Nicht umsonst sind care und consent die großen Stichworte unserer Zeit: Wie wollen wir zusammen arbeiten, zusammen leben? Dieser Frage folgend heißen wir nicht nur „Cranky Bodies“, sondern gibt es noch den Zusatz „a/company“ – auch als Verb zu lesen: to accompany.
PP: Insofern handelt es sich eher um einen Wunsch als um ein Statement. Kulturpolitisch gesehen allerdings ist es eines. Zeitgenössischer Tanz hat in Berlin keine Kontinuität, sondern findet immer nur in Projekten statt. In dieser Beziehung ist die Gründung eine Forderung nach der Förderung von Company-Strukturen, in denen sich choreografische Arbeitsweisen und Ästhetiken artikulieren können und Tänzer_innen längerfristig Arbeit finden. Statt alle in die Grundsicherung zu gehen. Oder die Körper dem Virus zu überlassen.
Cranky Bodies:
Die Zusammenarbeit von Michiel Keuper und Peter Pleyer verbindet Raumdesign, visuelle Komposition und Choreografie. Sie geht auf ihre Studienzeit an der Kunsthochschule in Arnheim zurück und reicht bis zu den jüngsten Arbeiten „visible undercurrent“ (UA Sophiensæle 2014), „Cranky Bodies Dance Reset“ (UA Sophiensæle 2017) und dem deutsch-polnischen Austauschprojekt „moving the mirror“ (u. a. Centre for Contemporary Art Ujazdowski Castle, Warschau, ab 2016). Die Neugründung von Cranky Bodies a/company wird zusammen mit 10 Tänzer_innen vom 20.–22. 8. täglich im Schichtsystem von 16 bis 21 Uhr im Dock 11 gefeiert.